Hast du dich schon einmal gewundert, warum dein Blutzucker morgens ansteigt, obwohl du noch gar nichts gegessen hast? Hinter diesem Phänomen steckt der sogenannte Dawn- oder Dämmerungseffekt. Bei Diabetes ist diese Symptomatik sehr häufig, aber auch einige Nicht-Diabetiker:innen sind betroffen. Wir sagen dir, was hinter dem Dawn Phänomen steckt und was du tun kannst.
Vielleicht hast du diese Situation selbst schon erlebt: Du wachst morgens auf, prüfst deinen Blutzucker und freust dich, dass der Wert im Zielbereich liegt. Ohne etwas gegessen oder getrunken zu haben, schaust du eine halbe Stunde später nochmal nach – und plötzlich zeigt die Kurve steil nach oben.
Das sogenannte Dawn Phenomenon (Dämmerungs-Phänomen) bezeichnet einen erhöhten Blutzuckerwert (Hyperglykämie), der spontan in den frühen Morgenstunden auftritt. Dieser Effekt ist weit verbreitet: Etwa die Hälfte der Menschen, die an Diabetes Typ 1 oder 2 erkrankt sind, erlebt ihn regelmäßig. Bei Kindern und Jugendlichen zeigt sich das Dawn-Phänomen oft besonders stark. Manche Menschen sehen den Anstieg direkt beim Aufwachen, bei anderen tritt er erst kurz nach dem Aufstehen ein.
Bislang gibt es keine allgemeingültige Definition, die besagt, wie hoch der Anstieg sein muss, um als Dawn-Phänomen zu gelten. Die meisten Betroffenen sehen Werte, die mindestens 10-30 mg/dL über dem tiefsten Wert der Nacht liegen – oder sie benötigen etwa 20 Prozent mehr Insulin, um den Anstieg auszugleichen.
Falls du gerade zum ersten Mal einen Glukosesensor (CGM) trägst oder deine Diabetes-Diagnose noch relativ frisch ist, bringt dich der unerwartete Anstieg womöglich ganz schön aus dem Konzept. Viele Diabetiker:innen, die den morgendlichen Blutzuckeranstieg erleben, fragen sich, was sie wohl falsch gemacht haben. Die Antwort: Sofern es nicht an einem verstopften Katheter oder einem Problem mit dem Insulin liegt, vermutlich gar nichts.
Der erhöhte Blutzuckerwert ist in diesem Fall keine Folge von Essen, Sport oder erhöhtem Stressempfinden. Wo genau die Ursachen des Dawn-Phänomens liegen, ist wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass das Zusammenspiel der Hormone für die spontanen Schwankungen verantwortlich ist.
Welche Hormone gerade in unserem Körper aktiv sind, hängt eng mit dem zirkadianen Rhythmus zusammen – also unserer inneren biologischen Uhr. Der Abend ist beispielsweise die Zeit des Melatonins, unseres Schlafhormons. Sobald die Dämmerung einsetzt, schüttet die Zirbeldrüse große Mengen Melatonin aus. Als Konsequenz wirst du müde und der Körper stellt sich langsam auf die Nachtruhe ein.
In den frühen Morgenstunden, in der Regel ab etwa vier Uhr morgens, bereitet der Körper sich langsam wieder auf das Aufwachen vor. Das erreicht er, indem er vermehrt Hormone wie Cortisol, Adrenalin, Glukagon, Katecholamine und Wachstumshormone produziert. Im Gegensatz zu Melatonin haben sie eine anregende Wirkung.
Doch wie erklärt sich dadurch das Dawn-Phänomen? Die Morgen-Hormone sind so etwas wie die Gegenspieler des Insulins. Cortisol, Glukagon & Co. versetzen den Körper in einen leichten Stresszustand: Das ist notwendig, damit du ausreichend Energie hast, um aufzustehen. Allerdings gibt die Alarmbereitschaft gleichzeitig auch der Leber das Signal, mehr Glukose bereitzustellen.
Der Körper speichert Zucker in Form von Glykogen, um für einen Notfall gerüstet zu sein. Über die sogenannte Gluconeogenese, also eine Art „Neuproduktion“, sorgt die Leber dafür, dass Glukose im Blut zirkuliert – auch wenn keine Nahrung zugeführt wurde. Die Folge: Der Nüchternblutzucker steigt.
Eine weitere Theorie ist, dass die Insulinsensitivität von Leber und Muskeln – also die Bereitschaft der Zellen, das Insulinsignal zu befolgen und die Glukose aufzunehmen – am Morgen geringer ist. Als Schuldige gelten auch hier die Wachstumshormone.
Im Prinzip ist das Dämmerungsphänomen ähnlich wie das, was in deinem Körper passiert, wenn du Sport treibst.Falls du einen Glukosesensor trägst, kennst du den Effekt wahrscheinlich: Selbst bei nüchternem Magen kann es sein, dass deine Glukosewerte während eines Workouts plötzlich ansteigen. Je intensiver die Trainingseinheit, desto stärker in der Regel der Anstieg.
Der Grund: Sowohl Nahrungsmangel (bzw. ein Mangel an verfügbarer Glukose) als auch körperliche Anstrengung sind für den Körper Stressfaktoren. Als Folge schüttet er Stresshormone aus, um zu veranlassen, dass zusätzliche Glukosereserven bereitstehen. Damit gewährleistet er, dass du maximal leistungsfähig bist. Das erklärt, warum Stress einen enormen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel hat.
Auch emotionale Stressfaktoren oder Schmerzen, zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Polyneuropathie, können dazu führen, dass der Blutzuckerspiegel nach oben geht. Ob es sich bei dir wirklich um das Dawn-Phänomen handelt, erkennst du also auch daran, wann genau und wie häufig dein Blutzuckerwert ansteigt. Fest steht: Für einen möglichst ausbalancierten Glukosewert ist es immer wichtig, dass du dein subjektiv empfundenes Stresslevel im Auge behältst.
Ein nächtlicher bzw. morgendlicher Blutzuckeranstieg kann also verschiedene Ursachen haben. Steigt der Blutzuckerwert morgens stark an, kann das Umständen auch daran liegen, dass er vorher zu stark abgesunken ist: Dann spricht man vom sogenannten Somogyi-Effekt. Er ist allerdings deutlich seltener als der Dawn-Effekt.
Registriert der Körper während der Nacht, dass der Blutzucker in den Keller geht, leitet er den Prozess der Gluconeogenese ein. Bei gesunden Menschen schüttet die Bauchspeicheldrüse daraufhin vermehrt Insulin aus und die freigewordene Glukose wird in die Körperzellen geschleust. Ist dieser Prozesse gestört – wie im Falle von Diabetiker:innen – kann sich das an einem erhöhten Blutzuckerwert am Morgen zeigen.
Mögliche Auslöser des Somogy-Effekts:
Dass der Körper morgens vor dem Aufstehen Stresshormone ausschüttet, die den Blutzuckerspiegel ansteigen lassen, ist ganz normal. Zu einem gewissen Grad erlebt also jeder Mensch den Dawn-Effekt. Funktionieren die normalen Prozesse des Körpers, ist er allerdings nicht direkt sichtbar: Die zusätzliche Glukose wird vom Körper sofort verwertet und die Blutzuckerkurve bleibt stabil.
Weil immer mehr Nicht-Diabetiker:innen Glukosesensoren verwenden, wissen wir allerdings, dass sich das Dawn-Phänomen auch bei ihnen zeigen kann. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass die Insulinsensitivität in einem solchen Fall schon beeinträchtigt ist – auch wenn noch keine Stoffwechselstörung diagnostiziert wurde.
Das Dawn-Phänomen ist eine sogenannte Differenzialdiagnose: Um andere Ursachen auszuschließen, werden zunächst deine Ernährungsgewohnheiten und ggf. die Insulinversorgung überprüft. Handelt es sich tatsächlich um das Dämmerungsphänomen, empfehlen wir dir, Gegenmaßnahmen einzuleiten, um den Effekt abzumildern. Denn steigt der Blutzucker jeden Morgen an, kann das eine vorhandene Insulinresistenz noch weiter verstärken. Auch dein Langzeitzuckerwert (HbA1c) wird durch den morgendlichen Blutglukose-Anstieg negativ beeinflusst.
Mit einer gesunden Ernährungs- und Lebensweise trägst du viel dazu bei, dass dein Blutzucker nachts stabil bleibt und morgens weniger stark ansteigt. Wir empfehlen dir die folgenden Maßnahmen, um das Dawn-Phänomen abzuschwächen:
Falls du keine Verbesserung feststellst, sprichst du am besten mit deinem Arzt. Unter Umständen kann es nötig sein, deine Medikamente zu verändern, anders zu dosieren oder den Zeitpunkt der Einnahme zu verschieben.
Die Grundvoraussetzung für stabile Werte ist natürlich immer, dass die Insulinzufuhr stimmt. Falls du Insulin nimmst, rät dein Arzt dir möglicherweise, die Dosis zu erhöhen, um das Risiko möglicher Langzeitfolgen durch das Dawn-Phänomen zu senken. Ein häufiger Trick ist der sogenannte „Morgengupf“ – eine kleine Dosis Insulin direkt nach dem Aufwachen, die den Blutzuckeranstieg abfängt. Nutzer:innen einer Insulinpumpe können uhrzeitgenau einstellen, wann das Insulin abgegeben wird.
Bevor ihr jedoch zu solchen Maßnahmen greift, ist es wichtig, deine individuelle Situation möglichst genau zu verstehen. Wann genau zeigt sich der Anstieg – und was passiert, bevor dein Blutzucker nach oben geht? In vielen Fällen lässt sich das Dawn-Phänomen durch angepasste Lebens- und Ernährungsgewohnheiten deutlich verbessern. Auch, wenn der gewünschte Effekt vielleicht nicht ganz so schnell eintritt wie bei einer erhöhten Dosis Medikamente.
Wenn du feststellst, dass deine Blutzuckerwerte morgens schon nüchtern schon in die Höhe schnellen, könnte das ein Hinweis auf das Dawn-Phänomen sein. Das bedeutet nicht unbedingt, dass du etwas falsch gemacht hast: Der Effekt entsteht vermutlich durch die natürlichen hormonellen Schwankungen des Körpers im Tagesverlauf. Stresshormone wie Cortisol oder Noradrenalin sorgen morgens dafür, dass deine Leber Glukose bereitstellt und dein Blutzuckerspiegel ansteigt.
Das Dawn-Phänomen ist typisch für Diabetiker:innen. Es kann sich aber auch bei scheinbar gesunden Menschen zeigen, deren Insulinresistenz sich noch im Anfangsstadium befindet. Egal, zu welcher Gruppe du gehörst: In beiden Fällen ist es wichtig, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um mögliche negative Konsequenzen des erhöhten Blutzuckers zu reduzieren. Die gute Nachricht: Indem du einige deiner (Ernährungs-) Gewohnheiten umstellst, kannst du dafür sorgen, dass der Effekt weniger stark ausfällt.
Um herauszufinden, was für dich und deinen Körper am besten funktioniert, ist ein kontinuierlicher Glukosemesser sehr hilfreich. Ohne nachts aufzuwachen, um deinen Blutzuckerwert zu messen, siehst du morgens den gesamten Verlauf der Nacht als Kurve. So kannst du gezielt ausprobieren, wie es sich auswirkt, wenn du spätabends Kohlenhydrate isst oder nach dem Essen noch einen Spaziergang machst.
Du hast noch nie mit einem Glukosesensor gearbeitet und weißt nicht, wie das Ganze funktioniert? Wenn du dir Unterstützung wünschst, empfehlen wir dir unser speziell darauf ausgerichtetes Programm glucura – eine App, die für Personen mit Typ-2-Diabetes entwickelt wurde: mithilfe der App lernst du genau, wie dein Körper tickt und was du tun kannst, um deinen Langzeitblutzucker zu senken. Weitere Infos rund um glucura und wie du teilnehmen kannst, findest du hier!
Über die Autorin
Amrei ist ganzheitliche Gesundheitsberaterin und studiert Clinical Nutrition im Master. Sie beschreibt sich selbst als reisefreudigen Yogafan und neben den Themen Ernährung und Gesundheit beschäftigt sie sich liebend gerne mit der Persönlichkeitsentwicklung.
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